Artikel im Tagesspiegel Berlin

Der Tagesspiegel fragt, ob Sportvereine noch zeitgemäß sind. Das Angebot von Stadtbewegung wird beispielhaft vorgestellt.

Der Freizeitsport in öffentlichen Parks wächst: Sind Sportvereine noch zeitgemäß?

Immer mehr Menschen wollen lieber ungezwungen im Park trainieren als in Vereinen. Die Verbände stellt das vor große Probleme.

Von Martin Einsiedler

[…] Robin Spaetling markiert mit einem Helfer namens Martin […] das Revier. Die beiden stellen ein Schild vor der Anlage auf. Darauf steht: „Mach die Biege!“ Das ist wortwörtlich zu verstehen. Es ist eine Aufforderung, hier Sport zu machen. Spaetling ist Trainer bei Stadtbewegung e.V., einem Verein, der den Sport im öffentlichen Raum fördert und kostenlose Angebote mit ausgebildeten Trainern wie ihm anbietet.

Turnschuhe vergessen ist nicht so schlimm. Für die Übungen im Park reichen auch normale Straßenschuhe.
Möglich macht dies das vom Senat finanzierte Projekt „Sport im Park“, von dem auch die Trainer wie Spaetling finanziert werden. Er ist an diesem Morgen nach Kreuzberg gekommen, um eine Gruppe anzuleiten. „Wir hätten am liebsten asiatische Verhältnisse“, sagt der 43-Jährige. In Fernost gehört besonders am frühen Morgen der gemeinsame Sport in öffentlichen Parks zur Alltagskultur. Davon ist Spaetlings Gruppe an diesem Morgen aber noch weit entfernt. Immerhin haben sich neben Martin noch fünf Frauen im Alter zwischen 45 und 68 Jahren für die Einheit finden können.

[…] Der mit Abstand größte Teil der Sportförderung bundesweit und in Berlin fließt in den vereinsorganisierten Spitzen- und Breitensport. Projekte wie „Sport im Park“, die mit 150.000 Euro vom Berliner Senat bezuschusst werden, sind im Vergleich dazu mickrig.

Dabei betreiben in der Hauptstadt der jüngsten „Sportstudie Berlin“ zufolge nur knapp über neun Prozent ihren Sport im Verein. Der große Rest bewegt sich außerhalb des Vereinssports. Knapp drei Viertel ihrer Sport- und Bewegungsaktivitäten organisieren die Berliner selbst, zehn Prozent nutzen gegen Bezahlung kommerzielle Einrichtungen. „Die einseitige Sportförderung der Vereine ist nicht mehr zeitgemäß und obendrein heuchlerisch“, sagt Spaetling. Er spielt auf das Sportförderungsgesetz des Landes Berlin an.

Danach ist es das Ziel, „langfristig niedrigschwellige, kostenlose Sport- und Bewegungsangebote durchzuführen“. Auch wird genannt, wer die Angebote durchführen soll: Der organisierte Sport, Vereine und Verbände. Der große Rest geht leer aus. Spaetling und seine Mitstreiter vom Verein Stadtbewegung haben sich deshalb mit anderen Vereinen und Organisationen im „Netzwerk Urbaner Sport Berlin“ zusammengeschlossen. Sie fordern, das Ungleichgewicht in der öffentlichen Sportbezuschussung zu ändern. Derzeit umfasst die kleine Bewegung 13 Initiativen, die nicht-kommerzielle, halborganisierte Bewegungsangebote im öffentlichen Raum anbieten. Aber sie wird wohl größer werden – genauso wie der Druck auf den organisierten Sport zunehmen dürfte.

[…] „Der unorganisierte Sport wäre schon mit Beleuchtung, Toiletten oder Trinkbrunnen an den frequentierten öffentlichen Anlagen zufrieden“, sagt Verena Kupilas. Die Sportwissenschaftlerin setzt sich schon seit vielen Jahren für den kostenlosen Sport ein. Seit 2014 bildet sie sogenannte Kiez-Übungsleiter aus. Innerhalb weniger Wochen sollen diesen die Grundlagen für das Anleiten niedrigschwelliger Bewegungsangebote vermittelt werden. Rund 150 dieser Trainer gibt es bereits in Berlin. Tendenz steigend.

Doch der Zulauf zu den Sportangeboten in Parks und im öffentlichen Raum könnte mit besserer Infrastruktur noch größer sein. „Gerade Frauen ab 65 oder 70 kommen vielfach nicht zum Sport im Park, wenn es keine Toiletten gibt“, sagt Kupilas. Sie ist überzeugt: „Berlin ermöglicht einer großen Zahl potenziell Interessierten keinen Zugang zum Sport.“ Hürden wie Mitgliedschaften und Beiträge seien für bestimmte Zielgruppen oftmals zu hoch. „Leider gerade für die, die von mehr Bewegung gesundheitlich am meisten profitieren würden: Ältere Menschen und Menschen mit geringem Einkommen.“

Aber zumindest ein bisschen was tut sich in Berlin. Im nächsten Jahr soll das Landeskonzept „Berlin bewegt sich“ starten. Es sieht vor, in allen zwölf Bezirken standardisierte Angebote zur niedrigschwelligen Bewegungsförderung in öffentlich zugänglichen Parks einzurichten. So soll in Trimm-Dich-Pfade, Fitnessparcours oder Freiflächen für Kursangebote investiert werden. Wie viel das kosten soll, sagt der Senat bislang nicht. Doch es zeigt, dass es ein Umdenken auf politischer Ebene gibt. Das Thema Gesundheit drängt immer stärker auf die politische Agenda. Schließlich kann man damit auch Wähler gewinnen – das größte Potenzial hierfür gibt es bei den vielen unorganisierten Sportlern.

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